Fast-Fashion – Die Schattenseiten der Mode

Oder: Warum wir aus unserem Kleiderrausch aufwachen sollten.

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„WAS? Du kaufst dir Polyklamotten? Bei mir gibt’s nur Naturmaterialien. Das ist viel nachhaltiger.“ Naturfasern besser als „Poly“: Ein viel gepflegtes Vorurteil, das sich mit einem Blick wiederlegen ließe. Denn unter den „großen Playern“ der textilen Fasern gehört Baumwolle aus konventionellem Anbau zu den ökologisch bedenklichsten. Dann doch lieber Polyester oder – noch besser – Bio-Baumwolle. Die ist bio und fair produziert und deshalb ganz sicher nachhaltig.

Uneingeschränkt stimmt auch das nicht. Das können die Besucher der Ausstellung „Fast Fashion – Die Schattenseiten der Mode“ erfahren, die noch bis zum 30.7.2017 im Textilmuseum St. Gallen zu sehen ist. Dort räumt der Blick auf die Infografiken und Texte ziemlich schnell mit den oben genannten Vorurteilen auf.
Und (mindestens) noch ein weiteres Vorurteil wird ebenso mit einer Grafik widerlegt: Teurer ist besser. Wer mehr für seine Kleidung ausgibt, hilft vor allem dem Handel. Die Textilarbeiterinnen merken fast nichts vom höheren Verkaufspreis. Für ein T-Shirt zeigt eine Infografik die Relation. Als Fast Fashion gibt es das für weniger als fünf Euro. Der Lohnanteil beträgt 13 Cent. Im mittleren Preissegment zahlt man für das Shirt 29 Euro. Der Lohnanteil steigt auf: 18 Cent. In beiden Fällen ist er verschwindend gering. Wobei er bei der Billigmarke bei 2 Prozent liegt. Beim teureren Teil schlägt der Lohn nur mit 0,6 Prozent zu Buche.

fastfashion_08_(c)JZurcherDa könnte es sich ja doch lohnen, Fast Fashion, also billig, zu kaufen. Warum man solchen Impulsen widerstehen sollte, zeigen in der Ausstellung neben Grafiken und Fotos eine Reihe von Videos und Filmen. Einen bleibenden Eindruck hinterlässt beispielweise ein vom Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) gedrehter Kurzfilm aus Impressionen. Da sieht man flanierende Models und dann die müden Näherinnen oder eine Frau im weichen Pelz, danach gequälte Tiere. Den Schmerzensschrei des Angora-Kaninchen kann man nicht hören – es reicht, sein verzerrtes Gesicht beim Haarausreißen zu sehen.
Auch das vom Textilmuseum eingebrachte Video einer Tanzperformance bleibt im Gedächtnis. Die Choreografin Helena Waldmann setzt darin die unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken Bangladeshs in Tanz um. Was langsam beginnt, steigert sich zum hämmernden Maschinenrhythmus. Eine Stimme aus dem Off gibt den Takt vor. Gnadenlos. Die zwölf Kathak-Tänzerinnen und –Tänzer müssen ihm folgen: Ihre immergleichen Bewegungen werden schneller und schneller, während auf der Leinwand hinter ihnen die Maschinennadeln hoch und runter sausen.

Seit 2015 ist die Ausstellung in unterschiedlichen Museen zu sehen. Als erstes im MKG, das sie auch konzipierte. Die Zusammenstellung der Exponate, die zu den Themenkomplexen „Konsum“, „Ökonomie“ und „Ökologie“ gezeigt werden, hat das Textilmuseum St. Gallen für seine Raumverhältnisse angepasst und durch andere ergänzt. Der „Maschinen-Tanz“ gehört dazu sowie die Karikaturen des Schweizer Künstlers Ruedi Widmer. Mit spitzer Feder gezeichnet, nimmt er den vermeintlich ökokorrekten Kleiderkauf aufs Korn.

fastfashion_15_(c)JZurcher„Fast Fashion – Die Schattenseiten der Mode“ ist eine etwas andere Ausstellung. Wer in ihr schöne Bilder und Exponate sucht und einen schnellen Rundgang durch die Räume erwartet, wird enttäuscht. Das Lesen der informativen Texttafeln braucht Zeit. Das Betrachten der Videos, Dokumentationen, Fotos und Grafiken ebenso. Doch es lohnt sich.

Allerdings: Dass einige Infografiken alles andere als schnellerklärend sind, ist leider ein echtes Manko. So wüsste nicht nur ich zu gern, wie viel Liter Wasser das Schwimmbecken fasst, dass die Produktion eines T-Shirts füllen würde. Und die wenigsten Besucher dürften sich so lange mit einer Grafik beschäftigen, bis sie denken, deren Aussage verstanden zu haben (z.B. wieso das Lufttrocknen Wasser verbraucht?).
Trotzdem ist es eine Ausstellung, die so viele Besucher wie nur möglich haben sollte. Wenn sich darunter viele jüngere befinden, umso besser.

Die (jeweils abgewandelte) Ausstellung wandert weiter. Die nächsten Stationen:
Jakarta, Indonesien, vom 9. März bis 9. April 2017
Melbourne, Australien, ab Juli 2017
Rautenstrauch-Joest-Museum – Kulturen der Welt, Köln, Herbst/Winter 2018/19

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