Die Offenburger lockte der Vollstoff-Rausch

In den Gesichtern der Marktbesucher stand Skepsis und Neugierde, als Annett Andersch und ich mit einem rollbaren Kleiderständer durch die Stadt zogen: mit lautem Geratter.

Die gespannten Baumwollschnüre (unsere Ketten), die beiden Pappschilder mit dem Titel „Vollstoffrausch im Sweety Pretty“ und die Kisten mit Wolle, Stoffstücken, Bambusstangen und allerlei „Wegwerfmaterial“ waren dann doch nicht so selbsterklärend.

Aber schon nach ziemlich kurzer Zeit auf unserem Mitmach-Arbeitsplatz vor dem Offenburger Vintage-Café in der Gerberstraße und nach nur wenigen eingewebten Materialien waren wir nicht mehr allein. Immer leichter fiel es den Passanten, zu fragen, sich zu uns an die Ketten zu stellen und loszulegen.

Besonders beliebt bei den Frauen und Kindern waren bunte Filzstücke: die Stanzreste einer Filzfiguren-Produktion. Mit den langen, zackigen Filzstreifen lassen sich wunderbar schnell tolle Effekte in der Kette legen – und auf ihr drapieren. Es gab keine Vorgaben. Ausprobieren, Spielen und Gestalten waren angesagt.

Wer meinte, so eine Aktion sei sicher nur was für junge Mädchen und Frauen, wurde schnell eines besseren belehrt. Das Herz aus einem Stück Fahrradschlauch stammt genauso von einem Mann wie die grüne Häkelkette. Die drapierte ein cooler Skater (nach dem Häkeln) in Rundungen in der Kette. Kleine Jungs haben ebenso Feuer gefangen wie ein paar Schülerinnen des Gymnasiums nebenan. Nur ihre Kunstlehrer konnten die Gymnasiastinnen nicht dazu überreden, den Kunstunterricht nach draußen zu verlegen, zu unserer Freistil-Aktion.

Dafür griff aber einer der Offenburger Stadtsheriffs nach kurzer Aufforderung zur Bambusstange. Die legte er ganz fachmännisch in die Kette ein und: lachte. Das war für uns ein echtes Highlight. Wer hat denn sonst noch das Glück, einen Strafzettelverteiler im Dienst lachen zu sehen?

Am frühen Abend waren aus zwei „nackten“ Ketten zwei bunte Material-Collagen entstanden. Bevor wir die vom Kleiderständer nehmen können, benötigen sie noch etwas Nacharbeit. Andernfalls bekämen die drapierten Gebilde ganz schnell Beine, und die Ketten hingen schlapp und leer.
Was mit den fertigen Collagen geschieht, müssen wir uns in den nächsten Wochen überlegen. Sicher ist aber, dass es demnächst wieder los geht mit zwei leeren, gespannten Ketten: zur nächsten Mitmachaktion in Offenburg an einem Markttag.

Noch ein PS: Die Textilerinnen Annett und Thea hatten im Café eine Auswahl ihrer handgefertigten Taschen und Kleintaschen aufgebaut. Im farbigen Potpourri fielen kleine Macarons von Thea sofort ins Auge. Geformt wie das Original, nur nicht aus Baiser sondern aus Stoff, mit einem Reißverschluss rundum: Das ist eine wunderschöne (sehr aufwändige) Idee, um Kleinigkeiten dekorativ aufzubewahren.

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