Mehr als eine Rezension des Buchs „Nach kaputt kommt schöner“
Spätestens nach dem Besuch der Ausstellung „Fast Fashion – Die Schattenseiten der Mode“ 2017 in Sankt Gallen war mir klar: Unser Konsumverhalten bei Textilien muss sich wandeln. Das – und politische Weichenstellungen – müssen einen notwendigen Wandel in Textilproduktion und -handel anschieben.
Dass sich die Textilindustrie immer neue Billiglohnländer sucht, dort gern auch niedrige Umweltstandards ausnutzt, dass sie sich nicht um artgerechte Tierhaltung schert, das wusste ich bereits. Doch wie wenig die Arbeit der Textilsklaven (meist Frauen oder Kinder) den Verkaufspreis beeinflusst, führten mir erst die einschlägigen Grafiken vor Augen. Leider ist es gleichgültig, ob sie für Fastfashion, das mittlere bis exklusive Preissegment oder für Slowfashion arbeiten: Ihr Lohnanteil am Verkaufspreis ist unterirdisch. Auch der enorme Ressourcenverbrauch – von Rohstoffen bis zu Wasser, Energie und fossilen Treibstoffen – bekam eine in Zahlen und Grafiken gefasste Dimension. Nach dem Besuch gab es keine Zweifel: Das kann so nicht weitergehen.
Einen Hinweis auf die Richtung, in die es gehen sollte, gab eine eher weniger beachtete Installation gleich am Anfang der Ausstellung. Dort ließen sich fein reparierte Kleidung und mit Stick- und Flickstichen verzierte Musterstücke bewundern. So wurden früher (nicht nur) in den Schweizer Haushalten die Textilien so lange wie nur möglich im Gebrauch gehalten. Insbesondere in Kriegs- und Mangelzeiten war das unumgänglich.
Aktuell, seit sich das Flicken und Sticken Swiss- oder Scotch-Darning, Mending oder (aus dem Japanischen) Boro mit Saschiko nennt, findet das Reparieren weitaus mehr Beachtung als noch vor sechs Jahren. Das Internet ist voll mit Darning- und Mending-Büchern, Videos und Kursangeboten. So ist es fast verwunderlich, dass ich bei einer meiner Recherche auf das Buch mit dem ansprechenden Titel „Nach kaputt kommt schöner“ gestoßen bin. Ein kleines Unternehmen in Halle gibt es im Eigenverlag heraus. Es firmiert unter dem Namen „Räubersachen“. Der Name macht neugierig, und was sich dahinter verbirgt, ist spannend. Nur kurz: Das Unternehmen bietet Kinder- und Erwachsenen-Kleidung (fair gefertigt und bio) neben dem Kauf im Mietsystem an. Die zurückgegebenen Kleidungsstücke werden gewaschen und beschädigte Stücke zum Weitertragen so repariert, dass sie (fast) schöner sind als zuvor.
Das Buch lässt sich als Zusammenfassung der täglichen Reparaturarbeit der „Räuberbande“ aus Halle verstehen. Erfreulicherweise gibt es nicht nur Handarbeits-Junckees einen Eindruck, wie vielfältig sich beschädigte Kleidungsstücke aus Web- oder Strickstoffen auffrischen lassen. Denn den Arbeitsablauf erklären durchdachte und leicht nachvollziehbare Grafiken zusammen mit Text: Schritt für Schritt. Zusätzlich illustrieren fotografierte Beispiele, wie die textile Reparatur konkret aussieht und wie vielfältig sich die jeweiligen Techniken einsetzen und kombinieren lassen. Wer will, kann gleich an Teststücken probieren, wie es geht und sich so ein eigenes Flick-Stick-Strick-Häckel…-Portfolio anlegen, bevor es an einem Lieblingsstück Ernst wird.
Gleich am Anfang geben die Autorinnen Ines Labedzki und Sybille Mittag Grundlegendes zu Material- und Stoffkunde weiter. Gerade so viel, wie notwendig ist zu wissen, um nicht nach der ersten Wäsche des reparierten Teils nacharbeiten zu müssen. In dem Zusammenhang ist auch das Kapitel „Wie beginne ich?“ wichtig. Wie so oft ist es nämlich besser, vor dem ersten Schnitt, Stich oder der ersten Masche zu überlegen, welche Reparaturtechnik in Frage kommen könnte, ob Vorarbeiten (z.B. Auftrennen, Loch unterfüttern …) nötig sind und ob sich im Materialfundus die passenden Garne und Stoffstücke finden lassen.
Ganz ohne Zweifel ist das Buch mit Herzblut und Können von Profis gemacht: Layout, grafische Umsetzung, Fotografien, Typo und Buchgestaltung gehen zusammen. (Nebenbei bemerkt: Für ein im Eigenverlag herausgegebenes Buch ist so etwas glatt die Ausnahme). Kein Wunder, dass ich es gern in die Hand nehme und damit arbeite. Zusätzlich zum Buch gibt es für die, die noch etwas mehr Hilfe bei der textilen Reparatur brauchen, Online- und Videokurse sowie Kurse vor Ort. Da ist dann auch Nachfragen möglich.
Mein Fazit: Mindestens alle, die sich um unsere Zukunft sorgen, die auf welche Art auch immer gegen die Trägheit der Politik und der “Masse“ demonstrieren, sollten mit dem Reparieren und Upcyclen ihrer Kleidungsstücke anfangen und dafür werben. Wenn sie nicht wissen, wie Reparieren geht, sollten sie sich das Buch kaufen oder ausleihen, mit den Videos lernen oder sich beispielsweise in Repair-Cafés die Techniken zeigen lassen. Und sie sollten die Maxime der grandiosen Designerin und Aktivistin Vivienne Westwood beherzigen: „Buy less, choose well, make is last“.
(alle Fotos aus dem besprochenen Buch: C.Treffert, Fotografen: Matthias Ritzmann und Markus Sönning, Grafiken: Ulrike Jänichen)
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