In der Schweiz – 2: Was ist Schmuck?

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Zur Ausstellung „Body Jewels“, bis zum 9. Oktober 2016 im Textilmuseum St. Gallen

Quadrat stapelt sich auf Quadrat. Das Material sind dünne Holzstäbe, von bunten Stoffstreifen sauber  umwickelt. Wie der avantgardistische Halsschmuck die Trägerin schmücken könnte, zeigt ein Bild. „Wearable object“ hat die holländische Schmuckgestalterin Lam de Wolf ihr Werk benannt. Nun ja: Bequem ist anders, aber es sieht fantastisch aus.

Ebenso die mächtige Kette von Willemijn de Greef. „Red“ heißt sie und rot sind all ihre Materialien: Wolle, Baumwolle, Leinen, Kunststoff, Glas und Gips. Sie sei eine Referenz an die Provinz Zeeland und ihre Schmucktradition, steht neben dem Objekt. Es müssen hünenhafte Frauen sein, die sich solch eine Kette um Hals und Schultern legen. Wie schade, wenn man nicht ganz so groß ist.

Bei all den in der Ausstellung „Body Jewels“ gezeigten Schmuckstücken steht die Tragbarkeit sicher nicht an erster Stelle. Es geht um mehr. Es geht darum, Grenzen aufzuheben, die Grenzen zwischen Schmuck, Mode und Kunst. Es geht darum, einen neuen Schmuckbegriff zu prägen. Und es war – was die Schmuck-Szene  betrifft – in der Anfangsphase eine Revolution. Welche klassischen Schmuckgestalter oder  Goldschmiede kämen auf die Idee, aus so wertlosen Materialien wie beispielsweise Nylonfäden, Stahlfedern, Kautschukplatten oder  Medikamentenblister ihre Pretiosen zu fertigen. Das war für sie zumindest noch Ende der 1970er Jahre ein Unding. Aber aus dieser Zeit stammen die ältesten Arbeiten von niederländischen Designerinnen der New Jewellery-Bewegung, die aus „Abfall“ Schmuck entstehen ließen.

Die Ausstellung – für das TextielMuseum in Tilburg von Caroline Boot konzipiert – wurde von der Ausstellungskuratorin Annina Weber für St. Gallen um Arbeiten aus der Schweiz ergänzt. Die Objekte zweier ganz unterschiedlicher Menschentypen stehen da im Dialog, zeigen auf, was alles machbar ist, mit unterschiedlichen Ansätzen. Manchmal ist es Mode, manchmal Schmuck, manchmal Kunst und ziemlich oft ist es alles drei. Auf jeden Fall ist es ein imponierendes Feuerwerk an Ideen, beeindruckend von den beiden Kuratorinnen in Szene gesetzt und unbedingt sehenswert.

Impressionen

Wer noch weiterlesen will …

Die Ausstellung gliedert sich in fünf Themen: Lines, Craft, Animals, Menagerie und Stories. Unter „Stories“ ist eines der – meiner Meinung nach – eindrücklichsten Werke ausgestellt. Miriam Verbeek schuf einen Trauerring – fünf Ringe, für jeden Finger einen, die von einem dünnen schwarzen Stoff umgeben sind. Wenn sich der Stoff mit der Zeit abgenutzt hat, ist die Trauerzeit vorbei. Zurück bleiben dann „nur“ noch die fünf Silberringe und die Erinnerung. Eine Idee, die berührt.

Neben der Ideenvielfalt sticht noch ein weiterer Aspekt ins Auge: Die handwerkliche Präzision der Schmuckgestalter ist enorm. Die Geduld, die notwendig ist um aus filigranen Stahlfedern und Nylonfäden einen „Vogelnest“ genannten Armreif zu fertigen, man mag es sich kaum vorstellen. Tanz, Textildesign und Perlenstickerei seien die drei Leidenschaften von Fabienne Morel, die das SchmuckKunststück fertigte. Mindestens zwei der Leidenschaften verlangen nach Präzision und sehr viel Geduld. Für ihre Arbeit als Schmuckgestalterin kann sie daraus schöpfen.

„Handwerk ist zeitlos, aber besonders seit einigen Jahren ist ein steigendes Interesse an alten Techniken, Materialien und Traditionen zu vermerken. Getrieben von Nostalgie und Reaktion auf das digitale Zeitalter und das moderne Konsumverhalten suchen Schmuckdesigner ihre Inspiration in der Vergangenheit.“ Der Text steht auf einer der Tafeln, die in den Themenräumen an den Wänden hängen. „Zukunft braucht Herkunft“, überschrieb der Philosoph Odo Marquard einen Essayband. Die Schmuckdesigner der Ausstellung „Body Jewels“ haben das beherzigt. Aber glücklicherweise längst nicht nur die.