Da wächst etwas

die ersten Gedankenbänder

Die ersten Gedankenbänder sind gewebt
(Foto: Ingrid Vielsack)

Meine erste Woche auf der Landesgartenschau in Lahr, dort wachsen Gedanken- und Gebetsteppiche – in der Hirtenhütte

„Hirtenhütte“: Das bedeutet verweilen bei der „Kirche auf der Landesgartenschau in Lahr“. Denn mitten auf einer riesigen Rasenfläche hat die evangelische Landeskirche ihren Hirtenhütte genannten Holzbau errichten lassen. In den ersten, sehr heißen Tagen des Blumen- und Gartenfestivals im April zeigt sich die Hütte als Zufluchtsort, nicht nur für die Schafe, die sich gern in ihren Stall zurückziehen. Auch die Besucher kommen, weil sie Schatten und Ruhe suchen und eine kurze Zeit inne halten wollen, bevor sie sich wieder auf den Weg durch das neu angelegte Gartenbunt machen.

Ingrid Vielsack wirft einen Blick in die Hirtenhütte

Blick in die Hirtenhütte (Foto: Ingrid Vielsack)

„Hirtenhütte“ heißt zudem miteinander Tun. Sei es, miteinander zu Andachten zusammen zu kommen, miteinander zu basteln (kleine Schafe beispielsweise) oder mitzuwirken an dem Kunstprojekt, das ich Gedanken- und Gebetsteppiche genannt habe.
Ein mobiler Kleiderständer bespannt mit stabilen Baumwollfäden, Streifen aus weißem Leintuch, Faserschreiber mit wasserfester Tinte gefüllt: Das sind die Ausgangsmaterialien. Dazu noch etwas Rohwolle, ein paar Blüten von der Wiese und Fundstücke, die gefallen. Die wichtigste „Zutat“ jedoch sind Gedanken, Sätze oder Worte, von Jeder und Jedem der mitmacht auf den Stoff geschrieben und dann in die Fäden eingelegt, eingewebt oder eingeknotet. Wie unsere Gedanken und Gebete bleibt das Geschriebene für Außenstehende verborgen. Denn mit jedem neuen Stoffstreifen schieben sich die Buchstaben immer enger zu Strukturen zusammen. Wer sie entziffern wollte, müsste die Gebilde zerstören.
„Das ist ja eine tolle Idee.“ Der Satz war immer wieder zu hören, bevor die Besucher selbst zum Stift griffen, um das Projekt mit ihren Gedanken wachsen zu lassen. Paare legen ihre Streifen neben- und übereinander, Freunde weben sie aufeinander zu, damit sie sich treffen, Kinder knoten sie zusammen … Eine Vorschrift, was „richtig ist“, wie man es „richtig macht“ gibt es nicht. So ist es auch mit der Sprache. Zwar überwiegen lateinische Schriftzeichen und deutsche Worte: noch. Doch die Besucher haben viele Nationalitäten und schreiben in ihrer Schrift, in ihrer Sprache.

nach einer Woche (Foto: Dirk Jaenicke)

gewachsen: nach einer Woche fast ganz unten (Foto: Dirk Jaenicke)

Nach und nach wuchsen in der ersten Projektwoche die ersten beiden Teppiche: zwei Werke, geschaffen von vielen, die ihre Gedanken mit ihrem Tun miteinander verwoben haben. „Gedankenschwer“, seien sie, meinte einer der Besucher. Flüchtig und frei, meine ich. Denn: „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten, sie fliehen vorbei, wie nächtliche Schatten …“ Nur noch Weniges fehlt, und die beiden Teppiche können vom Rahmen an eine der Wände der Hirtenhütte wechseln. Dort hängen sie bis zum Ende der Landesgartenschau und werden mehr. Denn weitere drei Projektwochen stehen an: vom 10.5. bis 16.5., vom 12.6. bis 18.6. und vom 1.8. bis 7.8.