Zu Besuch bei A.A.

Gewebte Kunstwerke in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

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„… hat laufend versuche gemacht, neue materialien in die weberei einzubeziehen.“ Das schrieben die Professoren der Bauhaus-Studentin Anni Albers ins Diplomzeugnis. Wie gut der Künstlerin und Weberin diese „versuche“ gelangen, lässt sich noch bis zum 9. September 2018 in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf entdecken. Anni Albers habe „das Handwerk des Webens als Kunstform etabliert“, steht dort auf einer der erklärenden Tafeln zu lesen. Schön wäre es, wenn es so wäre. Albers selbst stellte Ende der 1980er Jahre fest: „Ich meine, wenn eine Arbeit mit Fäden entsteht, dann wird sie als Handwerk betrachtet; auf Papier wird sie als Kunst angesehen.“ Zu dem Zeitpunkt hatte sie die Drucktechniken auf Papier für sich entdeckt – und dafür bekam sie Anerkennung aus der Kunstszene.
Dabei hätten ihre gewebten Bilder jede Anerkennung der Künstlerkollegen und Kunstkenner verdient. Abstrakte Kunst, mit Fäden gemalt, mit unerwarteten Effekten auch dank der „neuen materialien“ wie Metallfäden, Plastikstäbe, Zellophan, Pferdehaar oder Holzlatten. Sie gesellen sich dort, wo sie hingehören zu den traditionellen Webgarnen und schaffen optische und haptische Effekte, die bei den Betrachtern den Wunsch zum Anfassen und Spüren wollen wachsen lassen.
Aber das ist selbstverständlich strengstens verboten. Nicht nur, weil ausgestellte Kunst per se nicht berührt werden darf. Kurz vor der Eröffnung der Ausstellung erklärte Catrin Lorch am 1. Juni in der Süddeutschen Zeitung, warum textile Kunstwerke einer ganz besonderen Pflege bedürfen: „Während Maler über Jahrhunderte eine Alchemie entwickelten, die auf die Ewigkeit zielt, … macht man sich am Webstuhl eher Gedanken darüber, wie man den Entwurf – das Musterstück – mit einer Anleitung versieht, die das Nacharbeiten ermöglicht …“ Vielleicht ist das ja ein Grund, warum zumindest hierzulande die textile Kunst immer noch gern als Handarbeit von Frauen abgestempelt wird. Wer seine Arbeit so genau dokumentiert, statt an die Ewigkeit zu denken, ist doch eher Handwerkerin, als Künstlerin.

anni albers am WebstuhlEinige dieser Dokumentationen – Entwurfsskizzen mit Angaben zu Materialien und Fertigungstechnik – hängen in Düsseldorf in der Nähe der gewebten und gedruckten Exponate. Webmuster-Proben und kleine auf dem Musterwebstuhl gefertigte Material-Experimente liegen in Vitrinen aus. Alle Exponate machen den Ideenreichtum der Künstlerin deutlich. Und vieles erfreut die kunstbegeisterten Weberinnen und Weber. Ihnen verleihen Skizzen, Dokumentationen und Arbeitsproben eine Vorstellung davon, wie viel Aufwand und handwerkliches Können hinter den Wandbehängen und -tafeln, Raumteilern oder Bildgeweben steckt.
Das muss wissen, wer solche Stücke nachweben will. So wie es Albers Bauhauskollegin Gunta Stölzl machte. Sie webte (u.a.) zwei Entwürfe von Anni Albers in den 1960er Jahren nach: den Wandbehang „Schwarz Weiß Gelb“ und einen ohne Titel von 1927. In der Ausstellung sind diese Werke zu sehen. Hätte Stölzl sich nicht an den Webstuhl gesetzt, wären diese Wände leer geblieben, denn die Originale von Anni Albers sind verloren gegangen.
Vielleicht geben die Ausstellungsmacher – die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen und die Londoner Tate Modern – mit ihrer Auswahl ja ein Signal an andere Museen und vor allem an diejenigen, die die Museen finanziell unterstützen. „Wäre es nicht doch richtig, Wandbehänge nachweben zu lassen?“, fragte Catrin Lorch in ihrem Beitrag (s.o.). Damit das Verständnis für textile, für gewebte Kunst wachsen kann, wäre das zwingend notwendig. Denn andernfalls bleiben die originalen Kunstwerke überwiegend unter Verschluss, in klimatisierten Räumen. Für die (interessierte) Öffentlichkeit verborgen. Wer die Ausstellung in Düsseldorf gesehen hat, der weiß, dass das ein großer Fehler wäre.
Ein Nachtrag: „Zu Besuch bei A.A.“ ist der Beitrag überschrieben. Anni Albers hat so ihre Werke signiert – wenn sie sie überhaupt signiert hat.
Copyright für alle Fotos: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen